www.schulterfragebogen.de |
Selbsterfassung der Schulterfunktion |
Der Schulterfunktionsscore von Constant und Murley |
Im Jahre 1987 präsentierten Constant und Murley ihre Arbeit über einen Untersuchungsscore zur Messung der Schulterfunktion [9]. 1991 folgte eine deutsche Veröffentlichung [7]. Das Anliegen der Autoren war, eine klare Trennung zwischen der diagnostischen und der funktionellen Bewertung der Schulter zu schaffen. Eine diagnostische Bewertung stützt sich auf die Anamneseerhebung, die körperliche Untersuchung, radiologische sowie spezifische Untersuchungen einschließlich der Kontraströntgenuntersuchung, der Computer- oder der Kernspintomographie. Die Ergebnisse dieser diagnostischen Untersuchungen erlauben eine anatomische, physiologische und pathologische Bewertung der Beschwerden. Auch wenn körperliche Symptome, diagnostische und andere Untersuchungsverfahren zweifellos ihren diagnostischen und prognostischen Stellenwert haben, so können jedoch nicht unbedingt Erkenntnisse bezüglich des Funktionsgrades der Schulter daraus gewonnen werden. Der Nachweis eines Verhältnisses zwischen dem Vorliegen von Symptomen und der Schulterfunktion konnte bisher nicht erbracht werden [7]. Nach Meinung der Autoren soll daher zur Beurteilung des funktionellen Fortschritts, nach Verletzungen oder bei der Behandlung von Erkrankungen, auch nur die Bewertung der Funktion herangezogen werden. Der Score setzt sich aus 4 Parametern, zwei subjektiven und zwei objektiven, zusammen. Dazu gehören auf der subjektiven Seite der Schmerz und die Fähigkeit des Patienten, die Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen, während auf der objektiven Seite die aktive Beweglichkeit sowie die Schulterkraft beurteilt werden. Die Punktezahlen, die den einzelnen Parametern zugeordnet wurden, summieren sich zu einem Gesamtwert von maximal 100 Punkten. Punkteschema für individuelle Parameter [9]
Der Schmerzbeurteilung werden 15 Punkte zugeschrieben, wobei die komplette Abwesenheit von Schmerz 15 Punkte ergibt, milder Schmerz 10 Punkte, mäßiger Schmerz 5 Punkte und starke Schmerzen keinen Punkt. Die Bewertung bezieht sich auf den als am stärksten empfundenen Schmerz während den Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Arbeit, Freizeit, Ruhe oder Schlaf. Die subjektive Einschätzung, die „Aktivitäten des täglichen Lebens“ zu verrichten, wird mit 20 möglichen Punkten beurteilt. Wobei 4 Punkte für die normale Arbeitsfähigkeit, 4 Punkte für die Fähigkeit zur Ausübung der gewohnten Sport- und Freizeitaktivitäten und 2 Punkte für das Vermögen ohne Störungen zu schlafen, vergeben werden. Die restlichen 10 Punkte werden für die Positionierung der Hand auf verschiedenen Ebenen vor dem Körper zur Verrichtung von bestimmten Arbeiten zugeordnet. Punkteschema für Alltagsaktivitäten [9]
Der vollen aktiven und schmerzfreien Beweglichkeit werden 40 Punkte zugeordnet, zusammengesetzt aus jeweils 10 Punkten für die einzelnen Bewegungen. Das sind: die Flexion und die Abduktion des gestreckten Armes im Schultergelenk, die kombinierte Außenrotation und die Innenrotation. Motilität kann passiv und aktiv, sowie schmerzfrei oder schmerzhaft sein. Die Entwickler des Scores sind der Meinung, dass zum Zwecke der Schulterfunktionsbewertung nur die aktive schmerzfreie Bewegung berücksichtigt werden darf, da nur sie eine brauchbare Funktion für den Patienten darstellt. Die genaue Punktezuordnung zu den einzelnen Bewegungsumfängen ist aus den nachfolgenden Tabellen ersichtlich. Punkteschema für Flexion und Abduktion [9]
Punkteschema für die Außenrotation [9]
Punkteschema für die Innenrotation [9]
Dem vierten Parameter, der Kraftmessung, werden maximal 25 Punkte zugeordnet, wobei ein Englisches Pfund (ca. 0,45 kg) jeweils einen Punkt bis zur Höchstgrenze ergibt. Die Messung erfolgt im Sitzen bei einer Abduktion von 90º in der Skapularebene. Die Skapularebene ist definiert als eine Abduktion der Schulter mit einem Winkel von 30º bis 45º zur Horizontalebene. In dieser Position ist die erreichbare Schulterkraft maximal, gleichzeitig ist die Messung angenehmer und mit einer geringeren Gefahr von Verletzungen verbunden [14]. Als Messinstrument dient ein Zugmesser, wie z.B. eine Federwaage oder das Isobex Kraftmessgerät (Cursor AG, Bern, Schweiz). Als Messpunkt beschreibt Constant in der Originalpublikation [9] das Handgelenk, in der deutschen Veröffentlichung die Deltoidansatzstelle [7]. Die Messung der Kraft birgt ein großes Fehlerpotential durch Unterschiede in der Messmethode auf der Untersucherseite, und durch verschiedene Ursachen einer Kraftabschwächung auf der Patientenseite [2] [3]. Die Gestalter des Scores haben einem Englischen Pfund einen Punkt zugeteilt. Je nach länderspezifischen Maßeinheiten verwenden einige Autoren als Maßeinheit Kilogramm und haben einem Punkt dann jeweils 0,5 kg zugeordnet [15]. Die „Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie“ (DGOOC) empfiehlt die Verwendung des Schemas in der Originalfassung [20]. Das dargestellte Verfahren ist zur Anwendung bei allen Patientengruppen unabhängig von Alter, Diagnose, Behandlung und sonstigen Umständen konzipiert [7]. Bei Patienten mit Schulterinstabilität ergeben sich jedoch oft falsch gute Ergebnisse, da diese Patienten ein gutes Ergebnis des Constant-Murley-Scores erreichen können, ohne mit ihrer Schulterfunktion zufrieden zu sein. Dies liegt daran, dass keine instabilitätsspezifischen Elemente enthalten sind [6] [10] [3] [18] [16]. Es wird deshalb empfohlen, bei diesen Patienten zusätzlich ein zur Erfassung der Stabilität konzipiertes Instrument anzuwenden, wie z.B. den Rowe-Score [20]. Die Schulterfunktion verringert sich mit zunehmendem Alter natürlicherweise. Auch gibt es in den einzelnen Parametern, vor allem bei der Kraftmessung, geschlechtsspezifische Unterschiede [4]. Zum objektiven Vergleich ist deshalb eine alters- und geschlechtsadaptierte Angabe erforderlich [24] [15] [13] [4] [23]. Der Constant-Score hat sich international als klinischer Bewertungsstandard der Schulterfunktion etabliert [3] [6] [11] [5] [22] [17] [23] [16]. Von der „Europäischen Gesellschaft für Schulter- und Ellbogenchirurgie“ (ESSSE) [1], der „Deutschen Gesellschaft für Schulter- und Ellbogenchirurgie“ (DVSE), der „Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie“ (DGOOC) und des „Berufsverbandes der Ärzte für Orthopädie“ (BVO) wird der Constant-Murley-Score als Erfassungsskala der Schulterfunktion empfohlen [20] [21]. Die Punktezahl der erreichten Schulterfunktion kann den vier bewertenden Kategorien, „Ausgezeichnet“, „Gut“, „Mäßig“ und „Schlecht“, zugeteilt werden. Bezüglich der Punkteintervalle der einzelnen Kategorien gibt es jedoch unterschiedliche Angaben [15] [12] [24], oder es wurden die verwendeten Gruppengrenzen nicht genannt. Von Constant und Murley wurden keine genauen Punkteintervalle diesbezüglich vorgegeben. Am häufigsten werden in Veröffentlichungen 90-100 Punkte der Kategorie „Ausgezeichnet“, 80-89 Punkte der Kategorie „Gut“, 70-79 Punkte der Kategorie „Mäßig“ und unter 70 Punkte der Kategorie „Schlecht“ zugeordnet. Dies entspricht genau der Einteilung im Neer-Score [19]. Gestaltung des Patientenfragebogens nach Constant und Murley
Der neu konzipierte Fragebogen zur Selbsterfassung der Schulterfunktion soll für jeden Patienten einfach und klar zu handhaben sein. Gleichzeitig muss eine Übereinstimmung und damit direkte Vergleichbarkeit zum Originalscore bestehen.
Dazu wurden die einzelnen Parameter zu verständlichen Fragen formuliert und bildhaft dargestellt. Inhaltlich und im Aufbau entspricht er der Vorgabe durch C. R. Constant und A. H. Murley in ihrer Arbeit zur Vorstellung des neuen Beurteilungssystems [9] [7]. Auch die Punktezuordnung der einzelnen Fragen und Bewegungen wurde übernommen. Schmerz
Zur Veranschaulichung der Frage zum Schulterschmerz, eine auch sonst subjektive Einschätzung des Patienten, wird eine visuelle Analogskala benutzt, welche mit den beschreibenden Worten: kein Schmerz, mild, mäßig, sehr stark, versehen ist. Anstatt der üblichen Messung der Patientenmarkierung in Zentimetern, befinden sich unter der Skala 16 Kästchen von denen eines anzukreuzen ist. Jedes Kästchen entspricht einer Punktezahl im Score. Alltagsaktivitäten
Die vier Fragen zur Alltagsaktivität (Arbeits-, Sport-/Freizeitfähigkeit, ungestörtem Schlaf, Fähigkeit zur Ausführung von Aktivitäten des täglichen Lebens) sind wie im Originalscore subjektiv anzugebende Punkte. Die möglichen Antworten sind vorgegeben und zu jeder Frage von den Patienten jeweils die am besten passende anzukreuzen. Auch diese Fragen- und Antwortmöglichkeiten entsprechen genau den Vorgaben durch Constant und Murley in ihrer Originalarbeit. Der Bereich Arbeitsfähigkeit wurde mit einer Frage zum aktuell ausgeübten Beruf und zur Ursache einer eventuell eingeschränkten Ausübung ergänzt. Diese Zusatzfragen fließen nicht in die Bewertung ein, geben aber ein detaillierteres Bild über den Patienten zu diesem Thema. Bei den Fragen zu den Aktivitäten des täglichen Lebens wurden die einzelnen Antwortmöglichkeiten mit Beispielen versehen. Die Autoren beschreiben diesen Bereich nicht nur als Frage, wie hoch die Hand vor dem Körper zu heben möglich ist, sondern als die Fähigkeit, die Hand auf den beschriebenen Ebenen für bestimmte Arbeiten einzusetzen. Dazu gehört eine kombinierte Vorwärtsbeugung mit einer leichten Rotation bei einer bestimmten Schulterhaltung, während diese Aktivitäten ausgeführt werden. Der Zusammenhang zwischen der Verrichtung alltäglicher Arbeiten und der Schulterfunktion wurde bereits in der Arbeit von Triffitt 1998 [25] vorgestellt. Als zu den beschriebenen Ebenen passende und leicht nachvollziehbare Aktivitäten wurden folgende ausgewählt: Schema zur Handreichweite bei verschiedenen Aktivitäten des täglichen Lebens
Bewegungsumfang
Im Abschnitt der Beweglichkeitsmessung soll zusätzlich mit Bildern eine gute Verständlichkeit erreicht werden. Für jeden zu vergebenden Punkt ist ein Photo vorgegeben, welches noch durch einen beschreibenden Text ergänzt wurde. Die Photos stellen die jeweilige Schulterposition in genau der Messsituation dar, wie sie auch von Constant und Murley beschrieben wird. Gemessen wird im Sitzen, um Ausweichbewegungen möglichst zu vermeiden. Der Patient muss die Bewegungen wie gezeigt nachvollziehen, und dabei unter jedem Bild ankreuzen, ob es ihm schmerzfrei möglich ist oder nicht. Ein kurzer Text macht auf typische Fehler aufmerksam, und erinnert daran, die Bewegungen exakt auszuführen. Kraft
Die Kraftmessung erfolgt im klinischen Bereich durch ein Messgerät, z. B. eine Federwaage oder ein spezielles Kraftmessgerät. Anstelle der Federwaage wird in dem Patientenfragebogen eine einfache Stofftasche, gefüllt mit Gewichten, verwendet. Da nicht in jedem Haushalt mehrere Gewichte zu finden sind, wird die Verwendung einfacher Gegenstände bekannten Gewichts, wie z.B. Milch- und Safttüten, empfohlen. Eine solche Stofftasche mit einer Auswahl an verschiedenen Getränkepackungen wurde auch zur Selbstevaluation in der Orthopädischen Poliklinik bereitgelegt. Die Zugkraft wird bei einer Schulterhaltung mit waagerecht ausgestrecktem Arm gemessen, das heißt die Zugrichtung ist senkrecht. Das Gewicht der Tüte entspricht somit der Zugkraft in Kilogramm. Ansonsten orientiert sich die Messposition an den Vorgaben: Es wird im Sitzen gemessen, bei 90º in der Skapularebene (30-45º nach vorne zeigend) abduziertem und gestrecktem Arm. Die Tasche befindet sich in der Hand, welche mit dem Handrücken nach oben ausgerichtet ist. Die Position des Messgerätes am Arm variiert in den einzelnen Literaturangaben [23]: es wird die Befestigung auf Höhe der Deltoidansatzstelle [7] oder am Handgelenk [8] [15] [1] beschrieben, wobei der allgemeine Konsens eher auf eine Befestigung am Handgelenk hindeutet. Zur Realisierung der Kraftmessung mit diesen einfachen Mitteln ist die einzig durchführbare Variante, das Messinstrument in der Hand zu behalten. Ein Anheben der Tasche mit der Schlaufe über dem Handgelenk wäre zwar sicher möglich, ist aber eindeutig schwerer durchzuführen, und kann, je nach verwendeter Tasche, zu einem unangenehmen Einschneiden des Henkels in die Haut führen. Auch dieser Bereich wurde mit zwei Photos und einem kleinen Text anschaulich gemacht. Der Patient muss durch Ausprobieren das maximale Gewicht herausfinden, welches er für 5 Sekunden in der beschriebenen Position zu halten vermag. Das Gewicht ist in Kilogramm im Fragebogen einzutragen. Die Dauer von 5 Sekunden wurde gewählt, weil dies der Messdauer des Isobex-Kraftmessgerätes entspricht, welches bei der ärztlichen Untersuchung verwendet wird [13]. Bei der Auswertung wurde für ein Englisches Pfund (=0,45 Kg) ein Punkt vergeben. |